Die interviews:

Die nachfolgenden Texte sind Auszüge aus Interviews, die Paul Melki verschiedenen französischen Zeitungen und Zeitschriften gegeben hat. Die hier übersetzten Antworten entsprechen dem Originalwortlaut, nicht den abgedruckten und somit aufbereiteten Antworten:

 

 

Elle, 29. August 2004

 

- Behindert es Sie, dass Sie nicht alleine arbeiten können, ohne dass andere Menschen dabei sind? Wie gehen Sie damit um?

"Wenn ich alleine bin, gehe ich gedanklich in groben Zügen durch, was ich sagen möchte. Meine Zeit ist gezählt. Schreiben befreit mich, ein Glück, hier bin ich frei von jeder Behinderung."

 

- Interessieren Sie sich für andere kranke oder gelähmte Schriftsteller (Joe Bousquet, der im ersten Weltkrieg verletzt wurde, Jean-Dominique Bauby, der in einem Locked-In-Syndom gefangen war usw.), wie denken Sie darüber?

"Ich möchte nicht gerne etwas Dummes sagen. Die Hilflosigkeit, die sich aus der Behinderung ergibt, entsteht nicht aus dem körperlichen Zustand, sondern hinterrücks aus der Angst, die diese Behinderung hervorruft. Diese Angst schließt uns aus und erniedrigt uns. Ich habe Angst davor, dass das Buch eines Behinderten eben nur das Buch eines Behinderten sein wird, nicht das eines Schriftstellers. Mit Menschen, die scheinbar im Vollbesitz all ihrer Fähigkeiten sind würde man das nicht machen."

 

- Glauben Sie, dass Ihr Buch das Leben der Behinderten beeinflussen wird (es lässt einem keine Ruhe, wenn man sie alle für geistesgestört hält), ist es auch ein Kampf gegen den Virus der Unwissenheit? Möchten Sie gerne ein Vorreiter, ein Fürsprecher sein?

"Wenn man weiß, dass man lebenslänglich verurteilt ist, ändert das sämtliche Perspektiven für die eigene Existenz. Das Buch, das Sie mit mir geteilt haben, will kein Manifest der Behindertenpartei sein. Weder Worte noch Gedanken werden mich je zum Sklaven irgendeines dienenden Schicksals machen. Ich sage das nicht aus falscher Bescheidenheit, ich bin kein Fürsprecher, dafür spreche ich zu leise. Wenn die Behinderten einen Vorreiter suchten, gäbe es genügend brillante Köpfe, die dafür geeignet wären. Aber leider lassen unsere täglichen Mühen wenig Raum für Öffentlichkeitsarbeit. Niemand kann sich vorstellen, welche Mühsal ein mehrfach behinderter Mensch auf sich nehmen muss. Man vergisst nur zu leicht, was für ein Wunder es ist, einen funktionsfähigen Körper zu besitzen. Ja, ich leide und sorglose Momente sind sehr selten. Mitleid ist unnötig. Mitgefühl tut dem gut, der es empfindet. Wenn Sie jemanden wie mich treffen, dann teilen Sie lieber Ihre Lebensfreude mit ihm. Wenn Sie das nicht können, weil Angst, Zweifel oder Trauer Sie daran hindern, dann ist jeder Vorwand recht, sich davon zu stehlen. Ich bin nicht verständlich und auch die Antworten auf all ihre Fragen sind es vielleicht nicht. Ich weiß, Sie werden mir verzeihen, und so will ich versuchen mich in dem Irrgarten von Bedeutungen hinter den Worten auszudrücken."



Le Figaro, 18. September 2004

 

- Können Sie beschreiben, was sich für Sie innerlich verändert hat, als Sie die Möglichkeit bekamen, sich auszudrücken? Bevor Sie mit 12 Jahren geboren wurden, haben Sie da innerlich die Gefühle formuliert, die Sie gerne ausgesprochen hätten?

"Ich will einen Gedanken aus dem Buch aufgreifen: Gedanken werden nicht in Worte gekleidet. Ursprünglich ist es der Kontakt mit der Außenwelt, der ihnen ihre Daseinsberechtigung verleiht. Man kann die Gedanken nicht darauf reduzieren, wie viele Worte jemand kennt. Ich war überzeugt, niemals Worte gebrauchen zu können und so ließ ich meinen Gedanken über alle sprachlichen Grenzen hinaus freien Lauf. Durch den Unterricht, den ich erhielt und aus dem nach und nach etwas heranreifte, konnte ich Mittel schaffen, mit denen ich meine Gedanken transportieren konnte. Ich nenne sie die „flinken Affen auf Hängebrücken“. Meist spielte ich mit ihnen. Ein Affe hieß ICH, ein anderer BRENNE. Wenn ICH sich auf BRENNE warf, entflammte ich und so war es mit allen Worten, die ich in mir aufbewahrte. Ich brauchte immer mehr Gefährten, deren Namen Worte waren. Ich selbst dachte gar nicht an die Möglichkeit, mit der Außenwelt in Kontakt zu treten. Dafür gab es für mich gar keinen Anlass. Mit dem Schreiben hat sich meine Rolle verändert, die Nützlichkeit war beim Schopf gepackt. Momentan aale ich mich in einer leicht hysterischen, sonnigen Brise. Ich bin durchdrungen von der Verantwortung eines möglichen Glücks, eines Glücks für mich und die Menschen um mich herum. Besseres Leben!"



Hachette, 20. September 2004

 


- Wie entstand die Idee zu diesem Buch? Was bedeutet Ihnen das Schreiben und die Tatsache, dass Ihre Bücher veröffentlicht werden?

"Es war Schicksal, dieses Buch musste entstehen. Eigentlich war dieses Buch anfangs gar nicht gewollt, es war eine grundlose Gewissheit. Es wurde in dem Moment getauft, als die Entscheidung fiel, es zu veröffentlichen. Die Schrift, das sichtbare Wort, ist meine einzige Stimme. Als ich anfing, Spaß an meinem Geplapper zu finden, schien der Weg frei für einen Grund zu leben. Besser Spaß haben als vor Langeweile sterben. Vielleicht werde ich dafür bezahlt, dass ich Spaß habe? Ganz ehrlich, momentan kann ich nicht darüber nachdenken, was das alles bedeutet."

 

- Ihr Logbuch beginnt in einem recht „ungeordneten“ Stil, der sich nicht um Satzbauregeln kümmert und einfache Worte verwendet („ich sage Euch Geheimnis“). Doch dann entwickelt sich Ihr Stil, wird reicher, flammt gelegentlich regelrecht auf. Was bedeutet diese „Entwicklung“?

"Jeder Schriftsprache sollte es gestattet sein zu schlafen. Ich meine, man sollte sie nicht plötzlich aufwecken. Man kann ihr nur geduldig zuhören, und ich habe Zeit. Sie ist es, die anfangs mehr oder weniger sprunghaft auftaucht. Manchmal ist sie elend, wagt sich nicht hervor. Respekt, Vertrauen. Die Wolken verziehen sich und lassen sie aufflammen. Man muss auf sie warten und wenn sie erscheint, lädt man sie ein. Die Entwicklung entsteht durch immer schnelleres Lernen, seit den ersten Worten in der Grundschule, auf dem Lycée und vor allem zu Hause."

 


- In Ihrem Tagebuch nimmt die Reinkarnation einen wichtigen Raum ein. Inkarniert, deinkarniert, reinkarniert - welche Bedeutung haben diese Worte für Sie?

"Die Reinkarnationslehre ist ein unbewiesenes Phantasiegebilde. Ich kann nur sagen, dass in mir viele Leben wohnen, von denen ich das Gefühl habe, dass sie intensiv, voller Einzelheiten sind… Ich habe geglaubt, ich glaube, glaube ich? Glauben Sie meinen Worten nicht."



Journal de Saône et Loire, 23. September 2004

 

- Wie sollen wir dich unseren Lesern vorstellen?

"Haben Sie eine Vorstellung von dem Unterschied zwischen Körper und Geist? Gehen Sie in den Spagat, tiefer und tiefer, dann haben Sie eine ungefähre Vorstellung davon. Für jede Tätigkeit im Außen brauche ich Hilfe, aber manchmal kann ich in ganz kurzer Zeit eine Geschichte schreiben. Nehmt mich wie ich bin."

 

- Was würdest du unseren Lesern gern sagen, wenn du das „Journal de bord d’un détraqué moteur“ vorstellen solltest?

"Ich wünsche Euch, dass Ihr Freude daran habt, auch wenn es wahrscheinlich eine andere Freude sein wird, als ihr es von den meisten anderen Büchern gewohnt seid, lasst uns einen gefühlvollen Moment ohne Traurigkeit teilen."



Lire, 20. September 2004

 

- Sie haben Le Journal d’un détraqué moteur innerhalb von ungefähr fünf Jahren geschrieben. Was war das für ein Rhythmus, bzw. wie haben Sie dieses Buch geschrieben?

"Zwei Jahre lang habe ich jeden Monat zusammen mit meiner Logopädin Nathalie eine Seite geschrieben. Dann haben insgesamt sieben weitere Menschen gelernt, mir dabei zu helfen. Vier Jahre lang war es nichts anderes als ein Kommunikationsmittel."

 

- Sie haben vorher einen Gedichtband geschrieben und auch in dem Tagebuch stehen hier und da Gedichte: Was reizt Sie an der Poesie?

"Es ist das schnellste und überzeugendste Mittel in meinem Gefühlszustand - oder auch sonst, wie bei Hunger und Durst - das ich gefunden habe, um dringende Mitteilungen zu machen, denn die Zeiten, in denen ich schreibe, sind kurz. Das mag ich an anderen Autoren, diesen Schalk, diese Boshaftigkeit der Verse, die aussehen wie Rosen und Fausthiebe austeilen."

Übersetzung aus dem Französischen: Andrea Alvermann